Freitag, 13. März 2015

Von der Schwierigkeit des Leichten



Die nachfolgenden „Gedanken zum Hinterzimmer-Zaubern“ verfasste ich 1998 anlässlich einer Abendvorstellung für „amnesty international“. Im Vorfeld war ich von einer Zeitung gebeten worden, meine magischen Aktivitäten einmal zu porträtieren. Der Artikel wurde allerdings dann nicht veröffentlicht: Den Journalisten war er angeblich zu „pessimistisch“ – tja, wenn man nicht die Klischees liefert, welche sie lesen wollen…

Immer wieder steht sie still, die Zeit in diesem einen Moment hinter dem Vorhang, ob der nun – in Gedanken – im Wohnzimmer bei einem Kindergeburtstag hängt oder an einem Seniorennachmittag auf einer richtigen Bühne mich noch wirklich vom Publikum trennt. Eine einzelne Minute des Schweigens vor einer knappen Stunde Text und Aktion, die erzwungene Untätigkeit vor einer weiten Strecke doppelter Aktivität: Der sichtbaren Handlung und jener, die Geheimnis der Zauberkunst zu bleiben hat.

Zurück liegen bereits mehrere Stunden Arbeit: Telefonate, Angebot, Vertrag, Programmplanung, Einpacken, Umziehen, Fahrt, Auspacken, Aufbau – „Was verlangen Sie eigentlich für eine Dreiviertelstunde?“ Weiß ich nicht. So eine kurze Zeit habe ich noch für keinen Kunden gearbeitet…

In den letzten Stunden jedenfalls haben sich meine Gedanken spiralig bis ins Zentrum jenes Augenblicks verengt, auf den es ausschließlich ankommt: Wurde auch nichts vergessen, ist alles an seinem Platz, fertig präpariert und funktionsfähig? Nirgendwo ist ja der Absturz unmittelbarer als in der Zauberei, wenn der offenbar werdende Hintergrund die Illusion vernichtet, der Märchenprinz aus der Kindheit binnen einer Sekunde zum Stümper von heute mutiert.

„Warum tut man sich das eigentlich immer wieder an?“ Diese Frage liegt dem Hobby-Entertainer besonders nahe. Es geht ja nicht um den Broterwerb. Er kann sich jedes Mal neu entscheiden, ob er die beruflichen Belastungen noch mit dem Stress dieser „Freizeitbeschäftigung“ komplettieren will und zumindest jener ist wahrlich nicht kleiner als bei den Stars der Magie: Zuschauer, welche von weißen Tigern, der verschwindenden Freiheitsstatue oder Las Vegas-Flair träumen, werden wohl leer ausgehen. Vermag er etwas dagegenzusetzen, das akzeptiert wird, den dürftigen Rahmen eines Wirtshaussaals vergessen machen, obwohl er nicht mit Lasereffekten, Bodennebel und Glitzerdekoration aufwarten kann – er stattdessen auf der Vereinsheimsbühne in der Dekoration des letzten Bauerntheaterstücks agieren darf?

Und selbst wenn derartige Techniken vor Ort machbar wären: Er bekäme sie nicht. Welcher Veranstalter lässt für einen wie ihn stundenlang Scheinwerfer einrichten, Mikrofone und Verstärker ausprobieren, den Volksstückkitsch hinter ihm abbauen für eine „kleine Zaubereinlage“ bei einer Vereinsfeier oder dem Jubiläum der örtlichen Sozialstation – „for just another magician“ – irgend so einen Zauberer, wie ein geradezu internationales Vorurteil besagt?

Sicherlich: Jeder Veranstalter kriegt die Vorstellung, die er verdient. Doch was nutzt diese bittere Insider-Erkenntnis? Sie stärkt kaum das Selbstwertgefühl des Hinterzimmer-Magiers, der sich noch schnell den Staub des Stühlelagers von seinem Outfit wischt, während der Vereinsvorsitzende ihn unter leicht verballhorntem Namen ankündigt und anschließend die hauseigenen Lautsprecher seine Auftrittsmusik verzerren. Wieso eigentlich dieser ästhetische Masochismus? „Wenn Sie das stört, dann zaubern Sie halt nicht“, schrieb mir einmal ein sich – selbstredend – professionell dünkender Kollege.

Wenn das so einfach wäre! Oft liegen ja die Wurzeln tief in der eigenen Kindheit: der erste Zirkusbesuch, diese verstörende und deshalb so attraktive Welt des Scheins, ein Zauberkasten mit geheimnisvollen Requisiten, bald entzaubert durch das Lesen der Erklärung: So simpel ist das also! Die ersten Vorführversuche vor Freunden und Eltern, welche diesen Eindruck bestärken: Kinder sind das härteste Testpublikum – und im eigenen Lande gilt der Prophet eh nichts. Wer sich von den dazwischengerufenen Trickerklärungen nicht vollends frustrieren lässt, entwickelt schließlich Gegenstrategien, erlebt das Glück erster kleiner Erfolge.

Irgendwann fängt man sich wohl – im Wortsinne – einen Erreger ein, kann es nicht mehr lassen, weil man es immer wieder wissen will, kurz vor dem Auftritt nur die eine Frage vor Augen hat: „Zu wieviel Prozent kann ich heute meine eigenen Ansprüche umsetzen?“

Das Fehlen eines imposanten Rahmens zwingt den Protagonisten zu einer klaren Eingrenzung des Themas: Im Mittelpunkt steht die eigene Persönlichkeit – nicht zur Selbstbeweihräucherung, sondern für den Dialog mit dem Publikum. Selbst wenn man nur in gleißendes Scheinwerferlicht blicken sollte: Man weiß, dass sie dort unten sitzen, mit all ihren lauten oder stummen Fragen und Einwänden, Gedanken und Gefühlen. Wer diese Fäden verliert, irrt durch das Labyrinth seiner Darbietung. Nimmt man den Kontakt aber auf, begibt man sich in das gleichermaßen riskante wie animierende Spiel mit der Unwägbarkeit des Augenblicks. Mag der Akteur kreativ sein oder nicht – die Zuschauer sind es immer. Es gilt, nur dort kalkulierbar zu sein, wo man es will, im entscheidenden Moment abzutauchen ins Unfassliche.

Auch das Publikum hat seinen Part zu spielen. Wer nur wissen will, wie es geht, sollte einmal darüber nachdenken, welche Probleme ihn in eine Zaubervorstellung treiben. Man kann jemanden nicht gegen seinen Willen faszinieren. Wo sich aber die Wünsche vereinen, können gemeinsame Momente des Abhebens entstehen, in denen die Partner an echte Zauberei glauben – für einen Moment der erhabenen Zwecklosigkeit.

Nach dem Schlussapplaus steht die Welt wieder für einen Augenblick still, bevor die Zutaten des schönen Scheins wieder zu Packmaterial werden, das es aufzuräumen gilt. Für eine Minute denkt man an nichts, doch es ist eine positive Leere: Man hat alles gegeben.

Außerdem muss man ja noch die üblichen Zuschauerfragen beantworten: „Da müssen Sie doch sicher viel üben?“ Ja, das auch…

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