Montag, 28. Dezember 2015

Ende der Winterzeit



Neulich auf einer Adventsfeier mit stimmungsvoller Musik kam ich auf den naheliegenden Gedanken, zum Schlusstitel mit dem Kunststück „Wintertime in China“ meinen Auftritt zu beenden. Und wirklich gelang es in dieser Kombination, das Publikum in den romantischen, schwerelosen Flair mitzunehmen: Riesenapplaus und verträumte Mienen, als die Flocken wirbelten!

Der Pferdefuß traf mich einige Zeit später, als mir der Veranstalter ein Reengagement in just dem gleichen Lokal mit den Worten anbot: „Ich muss Sie aber vorwarnen – vielleicht werden Sie vom Wirt schwach angeredet. Die haben sich beim letzten Mal enorm über die weißen Konfetti geärgert, die Sie verstreut haben.“

Nun muss man wissen, dass ich keineswegs in einem Fünf-Sterne-Restaurant gezaubert hatte, sondern in einem Etablissement, welches der Bayer liebevoll als „Dorf-Boaz’n“ bezeichnet: Ein Wirtshaus einfacher Art, in dem einen nicht nur Maggidünste und altes Frittierfett, sondern auch der Renovierungsbedarf ohne langes Suchen anspringen. Der Boden: sauber gekachelt, ohne Perserteppiche. Ich nehme an, der Schaden hätte sich vermittelst eines starken Staubsaugers, welchen ich in einem solchen Unternehmen eigentlich voraussetze, binnen weniger Minuten beheben lassen.

Zudem hatte ich, fragen Sie mich nicht wieso, Kehrichtschaufel und Besen mitgenommen, um selber zur Reinigung zu schreiten. Aber wie das so ist: Nach der Vorstellung herrschten Friede, Freude sowie Eierkuchen, niemand sprach mich darauf an, und meine Musikerinnen hatten es eilig, zum nächsten Konzert zu kommen – in der Eile verzichtete ich aufs Schneeräumen.

Ich habe „Wintertime“ bislang zirka hundertfünfzig Mal vorgeführt, und nur in einem einzigen Fall, welcher mir allerdings unvergesslich bleibt, hatte man mich auf dieses Problem angesprochen: Vor Jahren zauberte ich in der Vorweihnachtszeit auf einem Kindergeburtstag und zog mir aus schwer rekonstruierbaren Gründen den Unwillen des Töchterleins zu, welches sieben Jahre wurde. Vielleicht hätte ich ihre ständigen neunmalklugen Sprüche zum tricktechnischen Hintergrund nicht ignorieren oder sie öfter „drannehmen“ sollen, was weiß ich! Jedenfalls war Madame mit meiner Darbietung, welche ich mit „Wintertime“ beendete, gänzlich unzufrieden und schloss sich nicht ihren Freundinnen an, welche sich wie üblich begeistert mit dem „Schnee“ bewarfen. Zudem stand der Herr Vater voll unter ihrem Pantoffel (und vermutlich auch dem von Mutti), was sie wohl ermutigte, sich mir mehrmals in den Weg zu stellen und mir anzudrohen, ich käme hier erst raus, wenn ich „den ganzen Dreck“ beseitigt hätte.

Ich erklärte der Bonsai-Schnepfe schließlich, dass es am Theater Schauspieler und Bühnenarbeiter gebe, und überließ ihr die konkrete persönliche Zuordnung. Ich jedenfalls sei ein Schauspieler… Unter den stechenden Blicken von Vater und Tochter verließ ich damals ziemlich rasch den ungastlichen Ort.

Was die junge Dame dennoch positiv von den Gaststättenbetreibern unterschied: Sie hatte mich wenigstens zur Reinigung aufgefordert! Stattdessen ließen Letztere ihren Unwillen hinterher beim Veranstalter aus. Da ich solche Dinge nicht gerne im Raum stehen lasse, telefonierten wir umgehend mit den Wirtsleuten und konnten die Wogen glätten. Unsere Frage, wie es sich eigentlich bei einem Faschingsball verhielte, wurde jedenfalls eindeutig beantwortet: Auch in dem Fall seien Konfetti verboten. Da kommt doch Stimmung auf…

Das eigentliche Elend besteht in der Einstellung eines beträchtlichen Teils der deutschen Gastronomie: Der Satz vom Gast, welcher König sei, ist offenbar reine Nostalgie. Man verkauft Essen und Getränke sowie eventuell Hotelzimmer, am Wohlbefinden der Besucher allerdings ist man kaum interessiert. Manchmal habe ich den Eindruck, am liebsten wäre es den Wirten, der Kunde würde Mahlzeiten bestellen und bezahlen, jedoch auf deren Einnahme verzichten – ginge dann noch müheloser! Der eingeladene Künstler gar gilt für viele als „Störfaktor“, für den man nun auch noch nach einer Steckdose suchen oder einen Garderobenraum bereitstellen soll (und wenn es die Kegelbahn ist). Die Chance, dass Gäste, die sich gut unterhalten fühlen, länger bleiben, mehr bestellen oder eventuell wiederkommen, wird ignoriert. Wahrlich, wenn ich wieder einmal einen Gastronomen über sinkende Umsätze klagen höre, schwebt der in höchster gesundheitlicher Gefahr…

Bin ich denn völlig aus der Zeit gefallen mit meiner Erwartung, der Gastgeber müsse auf den Gast zukommen statt umgekehrt? Was oft schon normale Restaurantbesucher erleben, wenn sie eine Viertelstunde auf die Kellnerin warten, trifft das Schaustellergewerbe noch weit heftiger: Gewöhnlich wird man schon beim Eintreffen in die Rubrik „Feuerschlucker, Bauchtänzerin, Zauberer“ eingeordnet und fürderhin in höchst spiritueller Weise ignoriert. Und selbst wenn man in weiser Voraussicht auf einen Garderobenraum und sonstige Hilfestellungen verzichtet und eine „Auspacknummer“ bietet – eingekeilt zwischen einer depperten Anordnung der Tische und dem dampfenden Großraumbüfett – müssen im Zweifelsfall noch die Konfetti herhalten…

Nun gut – wir haben den neuerlichen Auftritt am gastlichen Ort unbehelligt vom Wirt hingekriegt und natürlich keinerlei Effekte mit Konfetti, Flüssigkeiten oder Bodennebel gezeigt. Als eine meiner Musikerinnen in der Pause von der Damentoilette zurückkam, berichtete sie mir: „Auf dem Klo schwimmt’s – ich bin gerade auf Zehenspitzen durch die Bescherung getappt“. Meine reflexartige Vermutung: „Ja, hat denn da ein Kollege die Ganga gezeigt?“

P.S. Schleichwerbung: Wer die Geschichte nicht ganz verstanden hat, weil er „Wintertime in China“ nicht kennt – in meinem Zauberbuch beschreibe ich diesen Klassiker detailliert auf den Seiten 88-94.

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Zwei Tage im Advent



Seit Wochen schon stand das „magische Großkampfereignis“ an: zwei längere Auftritte beim Weihnachtsmarkt einer Weltfirma!

Ein Foto aus früheren Tagen zeigte zwar eine eher kleine, aber wenigstens überdachte Bühne – immerhin mit Beleuchtung plus Tonanlage inklusive Funkmikrofon. Garderobe? Die Vorbereitungen musste ich halt irgendwie im Auto oder hinter der Deckung meiner Zauberkiste hinkriegen. Und seit Tagen war schlechtes Wetter angesagt…

Eine Stunde vor dem ersten Auftritt würden wir erscheinen, so hatten wir avisiert, und dann eine Einweisung des Organisators benötigen. Pünktliche Ankunft bei leichtem Nieselregen und Schneetreiben. Der Markt wenig besucht, die Bühne vollgestellt mit allerlei Gerümpel, nassgeregnet und halb angefroren, von der versprochenen Technik nichts greifbar – und auf der Firmenseite niemand zu sehen. Eine Ankündigung unserer Vorstellungen? Die Budenbesitzer wussten von nichts.

Schließlich trieben wir zwei Azubis auf: Zauberei? Keine Ahnung! Ob sie wohl mal den Bühnenboden wischen sollten? Ach ja, gute Idee… Weitere Kontaktversuche mit dem Firmenvertreter landeten auf dessen Mailbox. Endlich richtete man uns aus: Er werde in 15 Minuten da sein.

Ich ließ unser Gepäck vorsichtshalber im Wagen, und nach weiteren 20 Minuten Einsamkeit verließen wir das imposante Gelände der Weltfirma – vorbei an einem großen Veranstaltungsforum, auf dem schon Weltstars aufgetreten waren. Na gut, gehören wir halt nicht dazu…

Später firmenseits Kontakte per Handy und Mail mit den üblichen „könnte, hätte, würde“-Wortschatz. Interessierte mich nicht mehr – und schon gar nicht das uns als Verpflegung zugedachte „exklusive Menü“. Ich möchte beim Zaubern an meine eigenen Grenzen gehen statt unter denen anderer zu leiden.

Am Sonntagnachmittag dann eine „Mugge“ mit meinen beiden Musikerinnen: zaubernde Moderation adventlicher Klänge bei einer Organisation mit Klientel eher im Seniorensegment: Dorfgasthaus, statt Garderobe ein Tisch im hintersten Bereich.

Anders als bei dem Großunternehmen tippte mir der Veranstalter schon dreißig Sekunden nach meinem Eintreffen auf die Schulter: Herzliche Begrüßung – ob denn alles in Ordnung sei? Die Gage übergab er mir gleich, natürlich gegen Unterschriften auf hochwichtigen Formularen.

Das Konzert nicht ganz stressfrei – der Platzmangel zwang mich zu etlichen Pirouetten zwischen Stühlen und Faltwand: Nur nichts vergessen, schließlich war es ein völlig neues, auf die Musikwünsche des Organisators zugeschnittenes Programm.

Nach einer Stunde herzlicher Applaus mit der dringenden Bitte um eine Zugabe: Meine Musikerinnen hatten mich mit größter Sicherheit durch das Programm getragen und einige Schnitzer von mir souverän verdeckt. Dann in Windeseile einpacken – die beiden Damen hatten am Abend noch ein Adventskonzert zu spielen. Dabei blieb mir die dankbare Rolle des Zuhörers.

Abends in der örtlichen Dorfkirche: Ein wunderschön aufgebautes „Bühnenbild“, der Ablauf ein perfektes Zusammenspiel von Kirchenchor, Instrumentalisten sowie dem Pfarrer als Vorleser stimmungsvoller, aber nicht kitschiger Weihnachtsgeschichten.

Schon der Einmarsch des Chors mit Kerzen in den Händen und zu einer getragenen Musik war so zauberhaft wie der Rest des fast anderthalbstündigen Programms. Alles hundertmal geübt und dennoch wie neu! Am Schluss standing ovations und Besucher, denen noch draußen vor der Kirche die Ergriffenheit anzumerken war.

Das Geheimnis: Die Mitwirkenden kennen einander schon seit vielen Jahren und arbeiten völlig selbstlos zusammen. Podeste für den Chor beispielsweise? Kein Problem, einer der Sänger ist Schreiner und macht sie halt „so nebenher“ selber!

Auf dem Weg zum Auto fiel mir ein Satz ein, mit dem der Vertreter der Weltfirma einen Tag zuvor sein Zuspätkommen gerechtfertigt hatte: Die „Arbeitszeitgesetze“ hätten ihm einen früheren Dienstantritt verboten.

Wie viele Welten doch zwischen zwei Tagen liegen können!