Montag, 3. Juli 2017

Die tausendste Vorstellung



Die gab es tatsächlich gestern auf der Gartenschau in Pfaffenhofen – der dortige Veranstalter hatte schon vor längerer Zeit angefragt. Was mich eigentlich wunderte: In unserer Kreisstadt gelten Künstler bei den „offiziellen“ Stellen in der Regel nur etwas, wenn sie aus dieser (oder von weither mit entsprechenden Renommee) kommen. Na, umso erfreulicher, dass man auch mal eine Truppe aus Pörnbach engagiert!

Ein ganz schönes Podium, mit Zeltdach überspannt – leider kein Regenschutz für die Zuschauer, was angesichts der durchwachsenen Wettervorhersagen bedenklich stimmte. Wer würde kommen, wenn es in Strömen goss? Weiterhin die üblichen Probleme von Open-Air-Veranstaltungen: weite Transportwege für die Requisiten, Mini-Garderobenraum, Seiteneinsicht, Akustik – jede Menge Arbeit also.

Immerhin hatte ich das Glück, als Begleitung die beiden Musikerinnen des „Duo Tango Varieté“ verpflichten zu können. Wenn Bettina Kollmannsberger (Akkordeon) und Karin Law Robinson-Riedl (Violine, Gesang) für die Live-Musik sorgen, ist dies ein wunderbarer Rückgriff in alte Zeiten von Zirkus und Varieté, wo ebenfalls noch echte Musiker die Künstler auf der Bühne unterstützten. Und da meine Frau meine Routinen genau kennt, kann sie halt eine Wiederholung mehr einschieben, wenn der Magier mal wieder zu lange braucht…

Aber auch hier gab es Probleme, da Bettina wegen einer Fußverletzung mit dicker Schiene aufs Podium humpelte. Sie meinte allerdings, sie hätte es absolut nicht ausgehalten, nicht dabei zu sein. Glücklicherweise ging alles gut – ganz herzlichen Dank!

Aber auch unsere anderen Sorgen lösten sich in Luft auf: Nachdem es morgens noch geregnet hatte, blieb es ab Mittag trocken – die ersten neuen Tropfen fielen erst Minuten nach Abschluss des letzten Auftritts! Zudem war das beteiligte Personal wirklich sehr hilfreich und kompetent, und der Tontechniker (Maximilian Adam aus Augsburg) lieferte uns (auch nicht selbstverständlich) den perfekten Sound.

Wieder einmal machte ich allerdings die Erfahrung, dass diejenigen, welche einen besonders laut loben (und teilweise auch schon Gratisvorstellungen bekamen), sich nicht unbedingt bei solchen öffentlichen Auftritten sehen lassen – oder sogar absagen, weil sie inzwischen offenbar etwas Besseres fanden. Andere hingegen, mit welchen man nie gerechnet hätte, beehren einen mit ihrer Anwesenheit: ausgleichende Gerechtigkeit!

Insgesamt konnten wir uns über mangelndes Interesse wahrlich nicht beklagen – im Gegenteil: Zu ersten Vorstellung kamen zirka 70 Zuschauer, zur zweiten sogar mehr als 130, und das bei eher durchwachsenem Wetter!

Ich hatte meine Programme bewusst auf Optik, Poesie und geistreiche Moderation angelegt: viele Blumen- und Tüchereffekte, die „Odd Ropes“ mit dem wunderbaren Text von Marvelli, de Covas „Ropemare“, und Punx war mit den beiden Märchen vom Chinesischen Kompass" und den „Vier Wünschen“ vertreten. Übrigens bin ich ja mit dem Begriff „Meister“ (ob in der Magie oder beim Tango) sehr vorsichtig – aber Ludwig Hanemann war einer: Wie oft schon habe ich erlebt, wie seine poesievollen Texte auch heute noch beim Publikum ankommen, es in eine „zauberhafte Stimmung“ versetzen.

Zaubern liegt derzeit nicht im Trend: In drei Monaten Gartenschau mit täglich wechselnden Programm ist kein weiterer Kollege präsent. Warum ist das so? Sicherlich fehlen derzeit große internationale Vorbilder wie dereinst Siegfried und Roy oder David Copperfield. Marvelli war der letzte deutsche Magier, der Ende der 70-er Jahre abendfüllende Shows im deutschen Fernsehen zeigen durfte. Für mich das Ergebnis einer unheiligen Allianz zwischen den Veranstaltern und Vertretern der deutschen Zauberszene: Erstere kriegen das Klischee von Zylinder und Kaninchen nicht aus dem Kopf, und Letztere bemühen sich oft nach Kräften, stilvolle, intelligente Unterhaltung durch geistlose Comedy auf Jahrmarktniveau zu ersetzen.

Ich habe gestern, obwohl ich für ein „Kinderprogramm“ verpflichtet wurde, auf Bommelhut, Clownsnase und Comicfiguren sowie „Eiapopeia-Texte“ verzichtet. Es hat nicht geschadet. Man soll das Publikum (auch und gerade das junge) nicht für blöder halten als es ist!

Beim tausendsten Auftritt gehen die Gedanken zurück: Anfang 1986 beschloss ich, mich über das Level von kleinen Programmen für den Familien- und Freundeskreis hinauszuwagen: Ich schaltete Anzeigen in diversen Reklameblättchen, und schon kurz darauf erhielt ich den ersten Anruf: Ob ich für eine „kleine Gesellschaft“ von zirka 25 Personen zaubern könne? Natürlich sagte ich zu – und bei der Nennung der Adresse bekam ich weiche Knie: ein leibhaftiger Baron auf einem richtigen Schloss (so mit Wassergraben, Zugbrücke und Bediensteten)! Es grenzte schon an Tollkühnheit, als wir dort mit einem Teewägelchen sowie einem schwarzen Pappkoffer nebst Cassettenrecorder aufschlugen und einer hochedlen Gästeschar zwischen Hauptgericht und Dessert unser Programm zeigten. Aber anscheinend kam es an – wir erhielten ein Mehrfaches des vereinbarten Honorars und wurden noch weitere Male eingeladen!

Die nachfolgenden 999 Auftritte waren nicht immer so stilvoll im Ambiente: Man ist ja „Einzelkämpfer“ und muss immer wieder erleben, dass selbst professionelle Organisatoren wenig Ahnung von dem haben, was sie machen – und schon gar nicht „for just another magician“, welcher beim „fahrenden Volk“ noch unter dem Image von Bauchtänzerinnen und Feuerschluckern rangiert. Oft genug hatten wir den Eindruck, dass wir „trotz allem“ noch halbwegs gut ankamen.

In diesem Zusammenhang muss ich an den großen Kollegen Ken Brooke denken: Er wurde einmal gefragt, warum er bei seiner „Flaschenwanderung“ (die ich heute noch nach seinen Ideen vorführe) nicht ein echtes Getränk verwende. Seine Antwort: Bei den üblichen Auftritten habe er nicht einmal eine Garderobe und sei froh, wenn ihm Kellner oder Gäste nur die leeren Behältnisse umwarfen!

Foto: www.tangofish.de
Zur wichtigsten Person meines Zaubererlebens: Ohne meine Frau Karin, die mir bei den meisten der tausend Auftritte assistierte, hätte ich das alles nicht geschafft: Es geht ja nicht nur um Fahrdienste, das Schleppen der Requisiten durch Tiefschnee oder über enge Wendeltreppen und die Einspielung der Musik. Bei jeder Vorstellung betrieb sie stundenlange „Schadensbegrenzung“ durch Pflege der „empfindsamen Künstlerseele“, Vertuschen meiner Fehler und Pannen, Diskussionen mit desorientierten Gastgebern und Debatten mit „Kampfeltern“, die nicht einsahen, dass sie mit ihrem plärrenden Kleinkind die Vorstellung verlassen sollten… Über diese Geschichten könnte man ein eigenes Buch schreiben!

Als Epilog meines tausendsten Auftritts sang meine Frau gestern (als Überraschung für mich) den Edith Piaf-Klassiker „No, je ne regrette rien“: Nein, ich bedaure wirklich nichts – und schon gar nicht das, was sie zu meinem Erfolg beigetragen hat!

Ein Schnappschuss aus meinem Programm:

Foto: Ingrid Besserer


Bereits bei meiner ersten Vorstellung zeigte ich als Schlusseffekt das Chinesische Ringspiel – nach der Routine „Symphony of the rings“ des legendären Dai Vernon – und auch gestern war dieser Effekt natürlich im Programm. Für mich sind meine Erfahrungen mit diesem Kunststück der Beweis, wie „Klassiker“ auch heute noch wirken können und wie wenig oft der Weg nach immer neuen Effekten und Konzepten bringt. Als Einleitung bot ich gestern nicht den üblichen Text, sondern einen, der mir zum Jubiläum wichtig erschien:

„Meine Damen und Herren, was ich Ihnen nun noch zeigen werde, habe ich schon vor über 30 Jahren einstudiert, als ich noch ausschließlich vor der Familie und Freunden zauberte: das Chinesische Ringspiel. Bei einem meiner ersten Auftritte an der Schule, wo ich arbeitete, war ich ziemlich nervös: Ein sehr erfahrener und preisgekrönter Zauberkollege hatte sich angesagt. Nachher meinte er zu mir, mein Programm sei ja ganz schön gewesen – bis auf den Schluss: Warum ich ‚diese ausgeleierten Ringe‘ vorführen würde? Das mache doch fast jeder, und ich solle mir lieber eigene Effekte ausdenken anstatt nur große Vorbilder abzukupfern.

Ich gestehe, das mich diese Kritik in eine schwere Krise stürzte: War ich überhaupt ‚authentisch‘, wenn ich Vorführweisen von Kollegen übernahm, welche mich schwer beeindruckten?

Letztlich hörte ich dann aber doch auf mein Gefühl: Irgendwie wusste ich, dass diese Ringe zu mir passten – und ich auch vielleicht ein bisschen zu ihnen.

Mehr als zehn Jahre später zeigte ich am gleichen Ort wieder ein Programm – natürlich mit dem Ringspiel als Höhepunkt. Der berühmte Kollege von damals war erneut anwesend, ja, er übernahm sogar die Beleuchtung meines Auftritts. Nachher kam er zu mir und rief: ‚Hast du gesehen, wie die Ringe im blauen Licht glänzten? Einfach magisch!‘

Ich habe damals etwas gelernt, was weit über die Zauberei hinausgeht: Dass man zu sich und seinen eigenen Gefühlen stehen muss – und nicht zu dem, was andere Leute glauben, dass man fühlen müsse. Ich habe diese ‚ausgeleierten Ringe‘ bislang über 700 Mal gezeigt – und so auch heute zu meiner tausendsten Vorstellung!“                

„Zauberst du eigentlich immer noch?“ Diese sicherlich mitfühlend gemeint Frage höre ich immer öfter. Als Antwort zitieren ich gerne Dieter Hildebrandt: Ja, so lange ich noch ohne fremde Hilfe zur Bühne hochsteigen kann. Aber in meinem Metier sind die Podeste meist relativ niedrig – ich bin daher optimistisch!

P.S. Heute gab es in der Pfaffenhofener Presse einen ausführlichen Bericht über das gestrige "Märchen- und Magiewochenende" auf der Gartenschau. Von meinen Auftritten natürlich kein Wort, aber das Gegenteil hätte mich wirlich überrascht! Dennoch geht mein Honorar, so wie das aller Vorstellungen bisher, als Spende an die Deutsche Welthungerhilfe. Und man soll ja eher im Stillen Gutes tun...